Kevin Space freut sich, Rosa Aiellos neue Installation Traffic zu präsentieren, die Sound, Video, Skulptur und Collage umfasst. Aiellos künstlerische Praxis schöpft aus Filmen, Büchern, Online-Datenbanken und gefundenen Objekten, um ein zutiefst persönliches visuelles Repertoire zu bilden, das gleichzeitig intim und befremdlich ist. Sie baut Erzählungen auf, indem sie grundlegende Ambiguitäten sozialer und realer Strukturen – sowohl deren Komfort als auch Unterdrückung – untersucht. 

Traffic stellt Aiello als aufmerksame Zeugin, als Voyeurin und sogar als Eindringling dar, die vorgefundenes Material durch ihren Blick, ihren Körper und ihren Geist bewusst überlagert, überspielt und filtert und dabei die Grenzen auflöst: zwischen Subjekt und Objekt der Beobachtung, zwischen der Position der Künstlerin und der des Betrachters. Traffic geht jedoch weit über Aiellos persönliches Universum hinaus, da die flüchtigen, alltäglichen Szenen, Bilder oder Texte auf ihren Wert innerhalb eines größeren sozioökonomischen Gefüges hin untersucht werden. Ausgehend von scheinbar disparaten, aber miteinander verflochtenen Erzählungen und Orten legt die Installation Mechanismen der Übersetzung und Zirkulation frei, die das Ergebnis sprachlicher, räumlich-zeitlicher und materieller Verdichtungen sind.

Ein zentrales Element der Installation ist Yours Faithfully (2022), ein Video, das zufällige Aufnahmen von einer Straßenecke in Berlin Reinickendorf enthält. Während Aiello das Verkehrsgeschehen mit ihrer Handykamera an der von ihrer Wohnung aus sichtbaren Kreuzung eingefangen hat, synchronisierte sie den Klang ihrer eigenen Schritte über die Geräusche der Straße. Auf dem Boden ihres Ateliers hat Aiello den Gang und den Rhythmus der einzelnen Personen sorgfältig und unvollkommen nachgeahmt und so ihre hausgemachte Version eines Foley-Soundtracks vorgeführt – eine gängige Technik der Film-Postproduktion, deren Notwendigkeit mit der zunehmenden internationalen Verbreitung von Hollywood-Filmen zunahm, da  beim Synchronisieren das Überlagern von mehreren Sprachspuren den Verlust einiger ursprünglicher Soundeffekte zur Folge hatten. Das Video steht im Dialog mit der architektonischen Intervention, die den Ausstellungsraum in vier Abschnitte unterteilt – sie schwebt über dem Boden und lässt den unteren Teil offen, so dass die Füße der Besucherinnen sichtbar sind – und bezieht die Anwesenheit und die Bewegungen der Betrachterinnen in ihre audiovisuelle, räumliche Erfahrung ein. Die Verflachung von Differenz und Distanz legt hier den Grund für die klangliche Koexistenz und Verschränkung vieler Rhythmen. 

In dieser Ausstellung wird der Verkehr über die Bewegung von Menschen hinaus auf den Austausch von Waren und Informationen bezogen, die über ein Wirtschaftssystem übertragen werden. Die Auswirkung des globalisierten Kapitalismus auf Sprache und Wahrnehmung wird in acht Collagen deutlich: Yours Faithfully (case (Feste) Kiste), Yours Faithfully (We remain), Yours Faithfully (Please do not), Yours Faithfully (Dear Sirs), Yours Faithfully (panic both in), Yours Faithfully (Competitors’ products cheaper), Yours Faithfully (Dear Rolf) and Yours Faithfully (Dear Mr. Handy), (2022). Auf gefundenen Mappentrennern arrangierte Aiello Ausschnitte von Seiten aus einem veralteten DDR-Handbuch für das Schreiben von Geschäftsbriefen in englischer Sprache. Im Mittelpunkt der Arbeiten stehen die Besonderheiten der Sprache – eine Reihe von Umgangsformen, Ausdrücken und Tonalitäten –, die auf unterschiedliche Anlässe und Dringlichkeiten für Geschäftsleute in der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik angewandt wurden (die Texte existieren somit als hypothetische Vermittler zwischen divergierenden sozioökonomischen und politischen Blöcken). Einige der von Aiello ausgewählten Briefe befassen sich mit dem Handel von Filmmaterialien und erinnern an die sich wandelnde Materialität und Ökonomie des Films, hier im Zusammenhang mit dem Import von Tonfilm-Negativmaterial von ORWO Film nach Indien. Die Collagen verdeutlichen den Charakter der Texte als Relikte in einer völlig veränderten und beschleunigten Welt.

Dear Sirs (2022) ist eine Fotografie, die Aiello wiederum von ihrer Berliner Wohnung aus aufgenommen hat, aus demselben Raum, aus dem auch das Videomaterial stammt. Ihr voyeuristischer Blick, der in die Privatsphäre eines nicht identifizierten, hemdsärmeligen Mannes eindringt, kokettiert sowohl mit Empathie als auch mit Dominanz und verstärkt so eine unruhige Aufmerksamkeit, die sich durch Traffic zieht, irgendwo zwischen Fürsorge, Behauptung und Zeugnis. 

Rosa Aiello, (*1987, Kanada) ist Künstlerin, Autorin und Filmemacherin. Ihre Arbeiten wurden in einer Reihe von Institutionen und Galerien gezeigt, darunter Kölnischer Kunstverein; Schirn Kunsthalle, Frankfurt; Kunsthalle Zürich; Fluentum, Berlin; Cell Project Space, London; Bureau des Réalités, Brussels; und Stadtgalerie Bern, unter anderem. Einzelausstellungen fanden bei DREI, Cologne; Arcadia Missa, London; Lodos, Mexico City, und Southern Alberta Art Gallery, Lethbridge, statt. Ihre Texte wurden in Triple Canopy, Starship, CanadianArt, Art Papers, Public Journal, und F. R. David, veröffentlicht.