Peng Zuqiang
Vestiges
Ausstellung
9. September – 21. Oktober 2023
Opening: Freitag, 8. September 18:00 – 21:00


Kevin Space freut sich, Vestiges, die erste Einzelausstellung des in Amsterdam lebenden Künstlers Peng Zuqiang in Österreich zu zeigen. Seine Auseinandersetzung mit affektiven Qualitäten von Geschichte, Körpern und Sprache fortsetzend, zeigt die Ausstellung zwei neu produzierte Filminstallationen. Während analoger Film generell die Grundlage für seine Praxis bildet, arbeitet und experimentiert der Künstler in dieser Ausstellung zum ersten Mal direkt mit Film als Material selbst und reflektiert damit auch seine für gewöhnlich kamerageführte Art der Produktion H von Bewegtbildern. 

Die Experimente des Künstlers mit dem Material Zelluloid werden in seiner jüngsten Installation Déjà vu (2023) sichtbar. Eine 16-mm-Filmprojektion auf das großflächige Fenster des Ausstellungsraums zeigt ein abstraktes, flackerndes, schwarz-weißes Bild einer vertikalen Linie in ständiger Bewegung. Für diese Arbeit verwendete der Künstler die kameralose Technik des Fotogramms(1) als bildgebende Methode. Er belichtete 30 Meter Metalldraht direkt auf 30 Meter Filmnegativ. Der Metalldraht kann hier in seiner ganzen Ambivalenz gelesen werden: als Mittel zum Festhalten, als Hilfsmittel zur Flucht aus einem Hochhaus oder sogar als erotisches Lustobjekt. Die Frage, ob und wie Affekt sich überträgt und wie die eigentliche körperliche Erfahrung, welche ihrer direkten visuellen Repräsentation beraubt ist, mit Traumata  von anderen Personen  in Beziehung gesetzt werden kann, wird zur grundlegenden Frage der Tonspur der Installation. Unterlegt mit einem wummernden Bassrhythmus, der von Protestgesängen stammt, verwebt die Stimme des Erzählers persönliche Erinnerungen an physische Verletzungen mit denen Anderer, sei es von Unfällen, Hassdelikten oder Polizeibrutalität. Wenn ein Déjà Vu “nur eine körperliche Empfindung ist, und keine reale Erinnerung,”(2) ist es möglich, durch das  eigene physische Erinnern, die Erfahrung eines*r  Anderen zu verstehen oder nachzuempfinden? Die Line in Déjà vu wird zur einer Metapher für eine dünne Membran, gekennzeichnet durch affektive Übertragungsvorgänge und das ständige Einschreiben und Sichtbarmachen von Erinnerungen, Gefühlen und Empfindungen––analog zur Präsenz des Films selbst und dem allgegenwärtigen akustischen und mechanischen Rattern des 16-mm-Filmprojektors.

Wie eine Art Déjà-vu taucht diese Frage auch in einer 3D-gedruckten Tonreplik eines kostbaren Kalligrafiepinselhalters aus der Qing-Dynastie auf, welche auf der Fensterbank im Ausstellungsraum liegt. Ursprünglich aus Jade-ähnlichem, opakem Glas hergestellt und in den Haushalten von Adeligen, Künstlern oder Schriftstellern (in der Regel Männern) zu finden, hat die Pinselablage die Form eines knienden, nackten Jungen, der sich nach vorne auf den Boden lehnt, und ist somit ein Objekt des Status’ (und vielleicht des homoerotischen Begehrens). Wie der Abdruck des Drahtes auf dem Zelluloid des Films zeugen die sichtbaren Risse und Wunden an Kopf und Körper der Replik von einer lang andauernden Geschichte von Gewalt und  Objektivierung von vulnerablen Subjekten.

Die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt, Konsumierendemr und Konsumiertemr, Erregerin und Erregtemr werden in der Dreikanal-Videoinstallation Autocorrects (2023) weiter ausgehandelt . Ausgehend von dem Interesse des Künstlers an Musik und Sentimentalität, ist der Sound in Autorcorrects  eine Anlehnung an Downtempo-Beatmusik der chinesischsprachigen Musikindustrie der frühen 90er Jahre; ein Genre, das stark von vorangegangenen Strömungen aus den USA und Europa, aber auch aus Japan beeinflusst ist. Mit Gefühlen aufgeladen und durch rhythmische Narration noch verstärkt, nutzt dieses lokal adaptierte Genre oftmals spezifische Instrumente, um ein bestimmtes urbanes Gefühl zu erzeugen, das den Aufschwung der städtischen Entwicklung und ihre Atmosphäre zu jener Zeit widerspiegelt.

Mit den Regeln des Genres spielend, beginnt der Song mit dem Sound eines Gewitters und einem Telefonklingeln und schneidet direkt zu einem anderen Sample über: ein vorgefundenes Interview mit einem westlichen Musikproduzenten, der für die koreanische Popmusikindustrie arbeitet, und der beiläufig die unterschiedlichen Gefühlsbeziehungen in der Produktion von Musik zwischen “uns” und “ihnen" kommentiert. Wer schreibt aus dem Gefühl heraus und wer eher strukturierter?

Während die Lyrics des Songs zwischen Erinnerungen, App-Chats, Beschreibungen von gewalttätigen Gegenständen und Protestslogans hin- und herwechseln, sind das "I" (Ich) und das "U" (Du) niemals festgeschrieben, sondern sie durchlaufen Verletzungen, Empfindungen und Szenen des Aufeinandertreffens, der Vereinnahmung und der Übergriffe. Was riskiert man zu verlieren, wenn man jemandem ein Bild der Handfläche zum Lesen schickt? Wie hängt das eigene Vergessen von Namen mit der staatlich inszenierten Amnesie zusammen? Genau wie bei der Autokorrektur auf dem Telefon wird aus dem "I" ein "U" und umgekehrt. Das Wechselspiel und die Verflechtung von Gefühlen wird in den Texten weiter verdeutlicht, indem die Intimität und die Übergangsmodi des Wirkens und des Betroffenen-Seins kontinuierlich reproduziert werden. 

Während die Videokanäle flüchtige Bilder zeigen, die in Transiträumenräumen wie Flughäfen und Fluren aufgenommen wurden, sind die Worte mit einem Laser direkt in das Zelluloid des Films eingraviert worden und durchleuchten die Verletzlichkeit unserer materialisierten Oberflächen (der Haut), Gedanken und Gefühlswelten. Die Vorhänge, die an das Setting einer Karaoke-Bar oder einer Isolationseinrichtung erinnern, agieren selbst als Membran und werden sowohl als Begrenzungsobjekte als auch als Ort der Verbindung zwischen den beiden Arbeiten platziert, wodurch ein erweitertes Feld von Beziehungen und Bewegungen entsteht, das zwischen ihnen changiert.


Der Künstler bedankt sich bei Qidi FENG für den Part in der Videoarbeit und bei Georg Hartwig für die Komposition der Musik und das Sounddesign.

Die gezeigten Arbeiten wurden mit Unterstützung der Fondazione Sandretto Re Rebaudengo, illycaffè, des Kunstvereins Kevin Space und Antenna Space produziert. Peng Zuqiang’s Einzelausstellung wird am 2. November 2023 in der Fondazione Sandretto Re Rebaudengo in Turin im Rahmen der illy Present Future 2022 Preisausstellung, in Kooperation mit Artissima, eröffnet.


Peng Zuqiang arbeitet mit Film, Video und Installationen. Er hatte Ausstellungen und Screenings unter anderem bei Cell Project Space, E-Flux screening room, Times Museum, UCCA Beijing, Schirn Kunsthalle Frankfurt, IDFA und Open City Doc Festival. Er ist Preisträger des Illy Present Future Preises 2022 und des Dialog Award beim EMAF 2023. Als Artist-in-Residence an der Rijksakademie van beeldende kunsten (2022-24) lebt und arbeitet er in Amsterdam.

1
Die Belichtung von Gegenständen direkt auf eine lichtempfindliche Oberfläche.
2
Peng Zuqiang. Déjà vu, 2023.

Peng Zuqiang, Autocorrects, 2023. 03:03, three-channel video installation, 16mm film transferred to HD. Photo: Maximilian Anelli-Monti

Peng Zuqiang, Autocorrects, 2023. 03:03, three-channel video installation, 16mm film transferred to HD. Photo: Maximilian Anelli-Monti

Peng Zuqiang, Autocorrects, 2023. 03:03, three-channel video installation, 16mm film transferred to HD. Photo: Maximilian Anelli-Monti

Peng Zuqiang, Autocorrects, 2023. 03:03, three-channel video installation, 16mm film transferred to HD. Photo: Maximilian Anelli-Monti

Peng Zuqiang, Vestiges, installation view, Kevin Space 2023. Photo: Maximilian Anelli-Monti

Peng Zuqiang, Déjà vu, 2023, detail. 02:45, mixed media installation, 16mm film, sound, clay, iron oxide. Photo: Maximilian Anelli-Monti

Peng Zuqiang, Déjà vu, 2023, detail. 02:45, mixed media installation, 16mm film, sound, clay, iron oxide. Photo: Maximilian Anelli-Monti

Peng Zuqiang, Déjà vu, 2023, detail. 02:45, mixed media installation, 16mm film, sound, clay, iron oxide. Photo: Maximilian Anelli-Monti

Peng Zuqiang, Déjà vu, 2023, detail. 02:45, mixed media installation, 16mm film, sound, clay, iron oxide. Photo: Maximilian Anelli-Monti

Peng Zuqiang, Déjà vu, 2023, detail. 02:45, mixed media installation, 16mm film, sound, clay, iron oxide. Photo: Maximilian Anelli-Monti

Peng Zuqiang, Déjà vu, 2023, detail. 02:45, mixed media installation, 16mm film, sound, clay, iron oxide. Photo: Maximilian Anelli-Monti

Peng Zuqiang, Déjà vu, 2023, detail. 02:45, mixed media installation, 16mm film, sound, clay, iron oxide. Photo: Maximilian Anelli-Monti

Peng Zuqiang, Déjà vu, 2023. 02:45, mixed media installation, 16mm film, sound, clay, iron oxide. Photo: Maximilian Anelli-Monti

Peng Zuqiang, Vestiges, installation view, Kevin Space 2023. Photo: Maximilian Anelli-Monti