Aykan Safoğlu
ziyaret, visit
Ausstellung
24. Februar – 17. März 2019


Die Arbeiten von Aykan Safoğlu knüpfen Beziehungen –gar Freundschaften –zwischen kulturellen, geografischen, linguistischen und zeitlichen Topografien und stellen offene Fragen der kulturellen Zugehörigkeit, von Identitäten, Kreativität und Verwandtschaft. Seine neueste Arbeit ziyaret, visit unternimmt den Versuch, während eines Spaziergangs zu ausgewählten Grabstätten auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin, einen gelebten und sensiblen Umgang mit Verlusten und Transgressionen zu schaffen. Die Begegnungen zwischen Safoğlu und Gülşen Aktaş –kurdische Aktivistin, Feministin und langjährige Freundin –mit auf dem West-Berliner Friedhof ruhenden Geschichten und Persönlichkeiten (unter ihnen May Ayim, Ovo Maltine, Helga Goetze, Hedwig Dohm, Birgit Rommelspacher und Gülşens Mutter Şirin Aktaş), zeugen von dem Fortleben ihrer von Aktivismus und Übergängen gekennzeichneten Biografien in unsere Zeit hinein. Interessiert an Geschlechterpolitik, LGBTIQ Gemeinschaften und Queer-Aktivismus, begreift Safoğlu diesen Friedhof als archäologische Stätte des Visuellen als auch Symbolischen, um die oft von der vorherrschenden Kultur der Gegenwart vernachlässigten, verschütteten und überschriebenen Geschichten wieder sichtbar zu machen.

In den 1980er Jahren kam die afro-amerikanische, feministische Dichterin Audre Lorde nach West-Berlin, wo sie gemeinsam mit Anderen einen feministischen Kreis für “Women of Color” gründete. Eines der aktivsten Mitglieder dieser Gruppe, May Ayim, Mitherausgeberin des Buches Farbe Bekennen: Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte, liegt auf dem Alten Friedhof St. Matthäus begraben. In ziyaret, visit, richtet sich Safoğlus Stimme an seine Freundin Gülşen: „May Ayim: Afro-deutsche Dichterin, Freundin von Dir. “Zu früh ausgewandert”, meintest Du einmal, “aus diesen Erden.”” In der Fotografie wie in der Migration, kann der Fortgang der Entwicklung klar sein und dennoch zu Zufällen neigen.

In Safoğlus neuer Arbeit enthüllt analoge Fotografie die brüchigen und fragilen Grenzen zwischen zwei Welten, dem Dasein und dem Verschwinden und macht dabei Übergangsprozesse wie Migration, Radikalisierung und persönliche Entwicklung als Fragmente einer Gesamtheit sichtbar. “Wie auf einem Foto oder Filmstreifen repräsentieren die auf dem Friedhof begrabenen Personen und Geschichten unterschiedliche Zeitabschnitte dieser Gesamtheit.”1 Die entwickelten Mittelformat-Bilder sind nur für sehr kurze Zeit sichtbar, während die Negative aufgrund mechanischer Scanvorgänge langsam erscheinen: Als hätten die Scans Zugriff auf versteckte Informationen oder eine zweite Wahrheits-Ebene, die dem Bild selbst nicht zur Verfügung steht. Das Auftauchen der geisterhaft wirkenden Scans wird wie ein Abdruck des Verlaufs der Zeit ausgeführt. Kann der Prozess des Scannens die unterschiedlichen Zeitspannen, welche die Fotografie abbildet, aufzeigen?

Indem Safoğlu vermeintliche Leerstellen und die versteckten Geschichten rund um den bekannten Westberliner Friedhof “belichtet”, übersetzt er sie sorgfältig in metaphorische Orte für gesellschaftliche Dynamiken in Deutschland. Dabei bewirken die Metaphern nicht nur Bedeutungsverschiebungen – durch Umformung, Implikation oder Nebeneinanderstellung – sondern suggerieren vielmehr eine spielerische und vielseitige Verwendung des “Gesehenen”: Was passiert, wenn wir diese Metaphern wörtlich nehmen? Während Safoğlus sprachliche Untersuchung eine soziale Rhetorik durchführt, enthüllen die textlichen und visuellen Ebenen eine Methode von Wissenskultur, wie sie im allgemeinen nicht geteilt wird. Durch Ausgraben eines dialektischen Bodens zwischen Leben und Tod, verwandelt Safoğlu den Friedhof in einen fruchtbaren Ort für die Archäologie des Gefühls.

1 Aykan Safoğlu, I Wanted to Photograph You, 2019, www.schloss-post.com


Aykan Safoğlu (geb. 1984, Istanbul, Türkei) lebt und arbeitet in Istanbul und Berlin. Zu seinen letzten Ausstellungen zählen Off-White Tulips, Ystads Konstmuseum, Ystad (Einzelausstellung, 2016/17), Klassensprachen, Kunsthalle Düsseldorf (2018), ğ –soft g- queer forms migrate, Schwules Museum* Berlin (2017), Father Figures are Hard to Find, nGbK Berlin (2016), Home Works 7 am Ashkal Alwan, Beirut/Libanon (2015) und Sight and Sounds: Turkey am Jewish Museum, New York, NY/USA (2014). 2013 wurde er bei den 59. Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen für seinen Film Off-White Tulips mit dem Großen Preis der Stadt Oberhausen ausgezeichnet.

Die Arbeit ziyaret, visit wurde im Zuge von Aykan Safoğlus Residency an der Akademie Schloss Solitude im Jahr 2018 realisiert und wurde zum Teil durch die Kulturverwaltung des Berliner Senats finanziert.


☞ Künstlergespräch: Given your convenient absence
mit Aykan Safoğlu und Masha Godovannaya
Samstag, 23. Februar, 18 Uhr

Aykan Safoğlu, ziyaret, visit, Ausstellungsansicht, Kevin Space 2019, Photo: Peter Mochi
Aykan Safoğlu, ziyaret, visit, Ausstellungsansicht, Kevin Space 2019, Photo: Peter Mochi
Aykan Safoğlu, ziyaret, visit, Ausstellungsansicht, Kevin Space 2019, Photo: Peter Mochi
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Aykan Safoğlu, ziyaret, visit, Ausstellungsansicht, Kevin Space 2019, Photo: Peter Mochi
Aykan Safoğlu, ziyaret, visit, Ausstellungsansicht, Kevin Space 2019, Photo: Peter Mochi
Aykan Safoğlu, ziyaret, visit, Ausstellungsansicht, Kevin Space 2019, Photo: Peter Mochi
Aykan Safoğlu, ziyaret, visit, Ausstellungsansicht, Kevin Space 2019, Photo: Peter Mochi
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