Leone Contini
A Bowl of Dust
Ausstellung
17. Mai – 15. Juni 2019


A Bowl of Dust entfaltet sich um Leone Continis Recherche der letzten Jahre, im Rahmen derer er künstlich-konstruierte Orte in Europa besuchte, die aus den Trümmern von im Zweiten Weltkrieg bombardierten Städten entstanden sind. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit den Erden Europas als politisches Territorium und lebendiges Archiv, in dem Momente von Verfall, Veränderung und Wiederherstellung kontinuierlich wiederholt werden. Contini berichtet dabei nicht nur von einem punktuellen Ereignis in der europäischen Geschichte, sondern auch von verschiedenen Entitäten und Zeitabschnitten, die einem kollektiven Gedächtnis inne wohnen und somit auch als Vehikel für längere Zeiträume und Wissen fungieren.

Die Ausstellung zeigt eine artifizielle post-desaströse Biosphäre, die von unterschiedlichen Organismen und einer Vielzahl nicht-menschlicher Zeugenschaften bewohnt ist, und konzentriert sich auf die Trümmer, die der Künstler an verschiedenen Orten wie Mailand, Stuttgart, Berlin, München, Warschau und Palermo entdeckt hat: Das Natürliche und Künstliche verschmelzen hier zu einem objekt-basierten lebendigen Archiv, dessen mikro-geologische Zeitskala aus Nachkriegstrümmern und zeitgenössischen Ruinen herausgearbeitet wurde. Ein solider Grund trägt hier das Gewicht eines kollektiven Körpers, der als lebendige und anpassungsfähige Entität Beständigkeit hat.

Die Illustration Bivacco tra le macerie (Biwak in den Trümmern) erscheint als pittoreske Illusion des post-faschistischen Italiens der Nachkriegszeit am Rande seiner Erholung. Die Datierung – das Bild entstammt einer Illustration, die der Künstler in einer Zeitschrift vom 5. September 1943 fand – suggeriert eine andere Lesart, in der das Bild den Geistern seiner unmittelbaren Vergangenheit und Zukunft, des früheren Regimes und der noch bevorstehenden faschistischen Republik ausgesetzt wird. Später im Jahr 1943 fielen die Deutschen in Italien ein – eine Besatzung, unter der es zu Vergeltungsmaßnahmen, Massakern und Deportationen kam. Bivacco tra le macerie (Biwak in den Trümmern) steht im Dialog mit dem zweiten großformatigen Bild der Ausstellung: Parco Lambro, Milano, 1976 verweist auf die Vision einer „idealen“ Welt, die sich aus der Arkadenlandschaft und ihren Ruinen zusammensetzt, und einer Hippie-Ideologie, in der Freizeit und Hedonismus wesentlicher Bestandteil einer idealisierten europäischen Landschaft und ihrer Gesellschaft sind. In Realität „feiern“ die jungen Mailänder „Rebellen“ der Nachkriegsgesellschaft zwischen den erst 30 Jahre alten Kriegsruinen.

Aus einem Zelt und Kochbereich bestehend, steht die gleichnamige Installation Bivacco tra le macerie (Biwak in den Trümmern), die der Künstler während der Ausstellungseröffnung für eine Koch-Performance nutzen wird, der Videoarbeit Il corno mancante (Das fehlende Horn) gegenüber. Das Video zeigt „archäologische“ Stätten und führt in eine mythologische Erzählung ein, welche die Geschichte eines Objekts des ethnografischen Stadtmuseums in Mailand erzählt, das während der Bombardierung vom 13. August 1943 beschädigt wurde: die Statue der buddhistischen Gottheit Yamantaka bekannt als der „Eroberer des Todes" fungiert als Sinnbild für „Überleben", Aufbruch und Transformation.

A Bowl of Dust möchte das Bild Europas und dessen Ruinen als Ausdruck einer romantischen Sehnsucht hinterfragen, die von der Idee eines Neuanfangs durchdrungen ist. Stattdessen wird das rohe Erbe des Krieges verschiedenen lebenden Kräften ausgesetzt: Die Ruinen sind nun mit Wiesen, Büschen und Anemonenwäldern bedeckt, die von Fischen oder Insekten, Schalen-, Nage- und wirbellosen Tieren bewohnt werden. Die Wurzeln der Bäume verdauen allmählich die Trümmer der Vergangenheit, während Unterwasserströme die barocken Paläste von Palermo erodieren lassen. Die Installation A Bowl of Dust zeichnet sowohl den Prozess der permanenten Veränderung als auch der Wiederholung nach, indem sie die zerbrochenen Haufen der Vergangenheit im Ausstellungsraum und in einer Ökosphäre zeigt, die als Metapher für einen minimalen Lebensraum dient.


Leone Contini (geb. 1976 in Florenz/Italien) studierte Philosophie und Anthropologie an der Universität von Siena. Lecture-Performances und Veranstaltungen fanden u.a. im Kunstverein in Amsterdam (2019), der Delfina Foundation, London (2014) und im Kunstraum in München (2014) statt. Zu ausgewählten Ausstellungen zählen u.a. The Planetary Garden, Manifesta 12, Palermo (2018) und The Scattered Colonial Body, Museo della Civiltà, Rom (2017)

Leone Contini, A Bowl of Dust, Ausstellungsansicht, Kevin Space 2019, Foto: Maximilian Anelli-Monti
Leone Contini, Bivacco tra le macerie and Parco Lambro, Milano, 1976, Kevin Space 2019, Foto: Maximilian Anelli-Monti
Leone Contini, A Bowl of Dust, Ausstellungsansicht, Kevin Space 2019, Foto: Maximilian Anelli-Monti
Leone Contini, Detail Bivacco tra le macerie, Kevin Space 2019, Foto: Maximilian Anelli-Monti
Leone Contini, A Bowl of Dust, Ausstellungsansicht, Kevin Space 2019, Foto: Maximilian Anelli-Monti
Leone Contini, European Spiral Hills and Seafronts, Kevin Space 2019, Foto: Maximilian Anelli-Monti
Leone Contini, European Spiral Hills and Seafronts, Kevin Space 2019, Foto: Maximilian Anelli-Monti
Leone Contini, European Spiral Hills and Seafronts, Kevin Space 2019, Foto: Maximilian Anelli-Monti
Leone Contini, European Spiral Hills and Seafronts, Kevin Space 2019, Foto: Maximilian Anelli-Monti
Leone Contini, European Spiral Hills and Seafronts, Kevin Space 2019, Foto: Maximilian Anelli-Monti
Leone Contini, A Bowl of Dust, Ausstellungsansicht, Kevin Space 2019, Foto: Maximilian Anelli-Monti