Wir wussten gar nicht, dass die Räderwerke, die das Innere einer mechanischen Uhr ausmachen, im Englischen „movement“ (dt. Bewegung) genannt werden, bis wir auf eBay nach Uhrenteilen suchten, um ein Riemenrad zu finden, das der Größe eines gewöhnlichen Gummibands entspricht. Die Uhr war also in gewisser Hinsicht zunächst eine Materialquelle und wurde dann erst zur Inhaltsquelle. Beim Zerlegen der Uhren explodierten die „Bewegungen“ im Inneren der Uhrwerke in alle möglichen unerwarteten zusätzlichen Teile: kleine Messinghämmer mit Lederklöppeln, winzige Federn und Ritzel, seltsam geformte Anker oder wesentlich kleinere Klemmringe, als jene, mit denen wir bislang experimentierten. Zusammen mit unserer vertrauten Palette an Winkeln und Befestigungselementen aus dem Baumarkt, halfen uns die neu entdeckten Komponenten dabei, neue Bewegungen zu entwickeln und so die konstante Auferlegung eines rationalisierenden Rhythmus’ durch die Uhr in vier Skulpturen, die ihrerseits einer eigenen Logik folgen, umzumünzen.
Die Skulpturen in Clock Work nutzen vorbeifahrende Züge als Impulse ihrer jeweiligen Bewegungen. Ausgelöst werden sie durch eine versteckte Sensor/Sender-Box, welche die Erschütterung vorbeifahrender Züge an nahegelegenen Bahngleisen erfasst und diese Daten schließlich an die mit den Skulpturen verbundenen Empfänger weiterleitet. Indem die Skulpturen diese Bewegung als eine Reihe sich drehender, klopfender, rotierender und vibrierender Uhrenteile indexieren, dienen diese als dürftige Übersetzungen der vorbeifahrenden Züge. Doch in ihren Fehlzündungen brummen sie überschüssig neben und mit dem Takt der Züge und schmähen so deren vorhersehbare Bewegung. Der Nutzen des Zuges besteht darin, Orte durch Geschwindigkeit und Direktheit zusammenzurücken. Gewissermaßen findet demnach eine noch reibungslosere Vernichtung von Raum zwischen den vorbeifahrenden Zügen und der empfangenden Skulptur statt – ein Kollaps von Abfahrt und Ankunft in Echtzeit. Der Nutzen des Zuges hört aber wohl oder übel dort auf, wo die Bewegung der Skulpturen beginnt.
Michèle Graf und Selina Grüter sind ein in New York lebendes Künstlerinnenduo, das mit Sprache und Übersetzung arbeitet. Sie haben Medienkunst an der Zürcher Hochschule der Künste studiert und am Whitney Independent Study Program teilgenommen. Zu den jüngsten Ausstellungen und Performances gehören das Whitney Museum of American Art, die Kunsthalle Fribourg und die Emily Harvey Foundation New York.
Mit Unterstützung der Ernst und Olga Gubler-Hablützel Stiftung.