Aber selbst wenn die Afrikaner, die in den Laderäumen waren, die, um entdeckt zu werden, etwas von ihrem früheren Selbst in diesen Räumen als Spur hinterließen, und die durch die “Door of No Return” gingen und den Laderaum und das Meer nicht überlebt haben, die sind wie wir, lebendig in Wasserstoff, in Sauerstoff, in Kohlenstoff, in Phosphor und Eisen, in Natrium und Chlor. Das ist es, was wir über die Afrikaner wissen, die in der Mittelpassage über Bord geworfen, gesprungen, geschleudert oder ausgesetzt wurden; sie sind noch immer bei uns, in der Zeit der Totenwache, bekannt als Verweilzeit.
(Christina Sharpe, In the Wake. On Blackness and Being, 2016)
Für Abandon(ed) Vessel, ihre erste Einzelausstellung in Österreich, präsentiert Dominique White zwei neue Arbeiten, die die Geschichten und nautischen Mythen der Schwarzen Diaspora untersuchen und diese mit afrofuturistischen und afropessimistischen Unterwasser-Narrativen von Detroit-Techno und Black Radical Thought verweben.
Whites skulpturale Installationen entwickeln sich aus Überlieferungen zur Kalunga-Linie heraus – eine Wassergrenze zwischen der Welt der Lebenden und der Toten im Atlantik – und untersuchen die Idee des Shipwrecked (Schiffbrüchigen), die White als reflexives Verb und Seinszustand neu definiert. Die Arbeiten berufen sich auf eine Theorie des Detroiter Techno Duos Drexciya zur Existenz einer Unterwasserkultur, die von im Zuge des Atlantischen Sklavenhandels über Bord geworfenen und ertrunkenen Sklaven bevölkert wird und verweisen auf die Neuinterpretation einer Schwarzen Zukunft auf einer dystopischen Welt.
Ruttier for the Absent wurde im Juli 2019 auf der italienischen Insel Favignana als eine Art Wegweiser in Punta Marsala konzipiert und auf einer Klippe neben einem verlassenen Leuchtturm installiert. Die vor Ort gefundenen Materialien – ein Segel, ein Seil sowie getrocknete Palmwedel – wurden zuerst von der Künstlerin selbst stark beschädigt und anschließend der Kraft des Mittelmeers ausgesetzt und von dieser zerstört. Für die Übersetzung in den weißen Ausstellungsraum bearbeitete White die Skulptur mit Kaolin, einer natürlichen weißen Tonerde, die häufig auf Skulpturen aus Zentral- und Westafrika zu Reinigungszwecken und als Schutz aufgetragen wird. Von zwei massiven Eisenhaken gehalten, die an verstümmelte Anker oder Fleischhaken erinnern, balanciert die Skulptur Zustände von Erhalt, Verfall und Erneuerung. Auf die beiden scheinbar beständigen und gewaltsamen Metallkomponenten wurde kein Firnis aufgetragen, wodurch sie nun völlig ungeschützt ihrem eigenen Zerfall ausgesetzt werden.
Der Titel der Bodenskulptur Sargasso: An Ode to those who are yet to find their way Home bezieht sich auf die Sargassosee, die oft als ozeanische Wüste beschrieben wird, in der der freischwimmende Sargassum-Seetang eine schwarze Leere bildet, die weitgehend frei von Lebensformen ist. Das Sargasso-Meer liegt geografisch im Herzen des Bermuda-Dreiecks im Nordatlantik und ist das einzige Meer ohne Landgrenze auf der Welt. Es wird häufig mit dem historischen Mythos in Verbindung gebracht, der ein gefährliches Gebiet beschreibt, in dem „tote Schiffe, tote Seeleute und tote Sklaven“ (Brand 2001) zerstört und verschlungen wurden. Die Skulptur spiegelt die langen Strecken von Seetang in diesem Gebiet wider und besteht aus zwei Eisenhaken und einer zunehmenden Anzahl von Kaolin-Bojen (oder verlorenen Seelen), die von einem Gestrüpp handgewebter Netze verschlungen werden, deren Entstehung – die gedankenbetäubenden und sich wiederholenden Bewegungen des Webens – Ideen von Trauer hervorrufen. Die Skulptur ist als fortlaufendes Werk konzipiert und soll über einen unbekannten Zeitraum stetig wachsen.
Whites skulpturale Installationen verstehen das Meer als einen machtvollen Körper, der Elemente der menschlichen Existenz enthüllt – wie der Bruch eines Sklavenschiffes oder Relikte einer durch eine Naturkatastrophe zerstörten Siedlung – und erinnern an dystopische Überreste einer ignorierten oder vergessenen Zivilisation, die außerhalb der linearen Zeit existiert. Anstatt eine Schwarze Zukunft im Weltraum zu verorten (wie von afrofuturistischen Denkern wie Sun Ra vorgeschlagen), stellt sich Whites visuelles Vokabular das Meer als eine neue Welt vor, in der abstrakte Zukunftsbilder einen greifbaren Raum finden können: einen Raum, in dem Blackness sowohl als der Zerstörer wie auch als Erbe dieser Welt fungiert und Selbstzerstörung, Verfall und Abwesenheit in ein mächtiges Mittel übersetzt werden, um dem sozialen oder vererbten Tod des wahrgenommenen Schwarzen Körpers zu entkommen.
Dominique White (geboren 1993, UK) lebt und arbeitet in London. Zu Einzelausstellungen gehören: Fugitive of State(less), VEDA (Florenz, 2019) und Art-O-Rama (Marseille, 2019). Ihre Arbeiten wurden u.a. in Gruppenausstellungen präsentiert, wie z.B.: Flood-tide bei Love Unlimited (Glasgow, 2018); The Share of Opulence; Doubled; Fractional bei Sophie Tappeiner (Wien, 2018); °cat Clearview.ltd (London, 2018); The Conch (April)at South London Gallery (London, 2018); und Signs | Beaconsat Caustic Coastal (Manchester, 2018). Im Juni und Juli 2019 war White als Artist-in-Residence bei Curva Blu und von März bis September 2018 im Wysing Arts Centre (UK) ansässig.